Leserfrage

Ich versuche mich über die Jagd zu informieren, und bin dabei auf die Behauptung gestoßen, dass vermehrtes Jagen oder „Jagddruck“ schuld an den steigenden Schalenwildbeständen sei?

Ist da etwas dran?

WILDes Wissen – frag doch mal den Jäger

Das ist eine relativ häufig aufgestellte Behauptung auf Jagdgegnerseiten, die auch manchmal von außen aufgenommen wird.

Z.B hier: Ausgangsbehauptungen auf der Jagdgegnerseite:

jagddruckZitat: „Sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kommt es: Hoher Jagddruck führt zu hohen Populationszahlen….biologisch nachgewiesen. Danke ZDF Terra Xpress. Wann kommt es endlich bei den Entscheidungsträgern an und man verbietet die Jagd …… Und grade das Schalenwild ist besonders davon betroffen…vermehrt Unfälle mit Schalenwild in Gebieten mit hohem Jagddruck zeigen das“ Zitat Ende

 

Schon die allgemein gern aufgestellte Behauptung, dass eine Population sich ohne Jagd in kürzester Zeit stabilisiert und nicht weiter ansteigt, ist grober Unfug. Das bestätigt ein kurzer Blick nach Holland sehr eindrucksvoll.

Oostvaardersplassen in Zentralholland ist ein eingezäuntes Gebiet von 5.600 Hektar, wovon ca. zwei Drittel Wasser und sumpfige Bereiche sind. Es wird nicht gejagt, Rotwild und Pferde, die zur Pflege und zum Kurzhalten der Grünflächen dort ausgesetzt wurden, verenden in Zeiten ohne natürliches Futter im Winter elendiglich, verhungern, sind viel zu viele auf diesem umzäunten Areal. Denn die Tiere haben nicht die Vermehrung gestoppt oder heruntergefahren, wie es angeblich ohne Jagd der Fall sein sollte. Nein, nach Durst und Hunger ist der Sexualtrieb der stärkste Trieb, sowohl bei Mensch als auch bei Tier. Deshalb wuchsen die Populationen der großen Weidetiere maßlos an, bis sie erst von den Außenzäunen und dem fehlenden Nahrungsangebot gestoppt wurden.

Noch mal Holland: Vor 10 Jahren wurde die Jagd auf Flugwild komplett eingestellt. Man erwartete, dass die Gänse sich brav an die Argumentation der Tierschützer halten würden. Taten sie nicht, sie vermehrten sich wie die sprichwörtlichen Karnickel, Grenzen wurden der Vermehrungswut nur gesetzt z. B. am Flughafen Amsterdam, weil das Risiko von Vogelschlag für startende und landende Jets dramatisch anstieg. Seit 2015 nun werden von den mittlerweile zig Millionen Vögeln jährlich zwischen 20.000 und 40.000 Stück in der Mauser, wenn sie nicht flüchten können, auf LKW geladen und vergast. Toll…. Da funktionieren sie schon mal gar nicht, die Theorien der Tierschützer.

Übrigens….der Wolf wird auch nicht bejagt und vermehrt sich mit mittlerweile sehr schnell. Wie kann das passieren?
Kommen wir nun zum Schalenwild. Weder bei Rehwild noch bei Rotwild, eigentlich gilt das für alle Widerkäuer, kann über Jagddruck die Vermehrung gesteuert werden. Eine Hirschkuh ist biologisch nur der Lage, maximal zwei, in der Regel aber nur ein Kalb auszutragen und das auch nur einmal im Jahr. Beim Rehwild sind es in der Regel zwei Kitze, hin und wieder bei jungen, starken Ricken auch mal drei, sofern der Platz im Revier und die Nahrungsquellen ausreichen. Bei zu hohen Besätzen, bei zu viel Reh- oder Rotwild ist, breiten sich Krankheiten aus, es wird körperlich schwächer und bekommt weniger Nachwuchs.
Bei Schwarzwild ist man mittlerweile fast komplett ab von den Vorstellungen der 70er und 80er Jahre. Nämlich, dass der sogenannte Leitbachenabschuss, welcher die Rotten durcheinander bringen würde, die Vermehrung schlagartig ansteigen ließe und somit die Jagd an der Vermehrung schuld sei.
Sicherlich sind, gerade in dieser Zeit, auch jagdliche Fehler gemacht worden.

Aber die Wildbiologie lehrt heute andere Zusammenhänge:
Ein weiblicher Frischling wird nicht schlagartig rauschig, nur, weil plötzlich die Bache fehlt. Er wird rauschig, wenn er die körperliche Reife dazu hat, also geschlechtsreif ist.  Wenn eine Frischlingsbache genügend wiegt, genügend Fettanteil im Körper hat, erst dann ist es soweit, die durch den Körperfettanteil gesteuerte Hormonproduktion setzt ein. (Magere Frauen werden oft nicht gleich schwanger, es ist dort genau das Gleiche. Bei deutlichem Untergewicht versiegt die Hormonproduktion. http://www.familie.de/kinderwunsch/koerpergewicht-welche-rolle-es-beim-schwanger-werden-spielt-513261.html)
Und dieser Fettanteil wird nur über das Nahrungsangebot gesteuert.
Normalerweise liegt die Rausche des Schwarzwildes immer im Frühwinter, nach einer knapp 4 monatigen Tragezeit kommen die Frischlinge im Spätwinter/Anfang Frühjahr zur Welt. Sie durchlaufen das Jahr, haben in der Regel bei der auf die Geburt folgenden Rausche noch keine Geschlechtsreife erreicht, weil der Körperfettanteil noch nicht ausreicht. Die Rausche wird, von der Tageslichtlänge ausgelöst, von der Leitbache eingeleitet, die übrigen geschlechtsreifen Bachen synchronisieren. Diese Abhängigkeit von der Tageslichtlänge ist teils erlernt, teils genetisch fixiert und kann auch bei anderen Tierarten beobachtet werden.
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Frischlingsbachen erleben also im Regelfall eine Rauschzeit , während sie noch nicht geschlechtsreif sind, durchleben dann noch einen nahrungsmäßig  häufig knappen Winter und wenn wenn sie diesen überlebt haben, futtern sie sich bis zur ersten Rausche als Überläuferbache den zur Geschlechtsreife notwendigen Speck an.
ABER – es gibt keine Hungerwinter mehr, aktuell haben wir fast jedes Jahr eine Vollmast, warme Winter sind die Ursache. Kastanien, Eicheln und Bucheckern haben extrem viel Fett und Proteine, sind ein Mastfutter wie es im Buche steht. Dazu kommen Erntereste auf den Feldern in unvorstellbare Menge.

Daher erreichen immer mehr Frischlingsbachen das notwendige Gewicht schon erheblich früher und werden dann, auch nicht durch starke Keiler, sondern meist durch ihre Wurfgeschwister bedeckt. Entweder spät im Jahr, oder zur falschen Zeit im Frühjahr, so dass man das ganze Jahr mit Frischlingen rechnen muss. Diese Tatsache erschwert die Jagd auf Schwarzwild ganz erheblich!
Gegenüber dem bestehenden natürlichen Nahrungsangebot nimmt sich die erlaubte Menge an Kirrgut, was Jäger ausbringen dürfen, lächerlich aus! 1 Liter pro Kirrung, das sind ca. 700-800 Gramm! Das ist wie eine Tüte Chips für zehn Personen….. denn es kommt ja nicht ein Wildschwein an die Kirrung, sondern eine Rotte.

Beispiel Baden-Württemberg, seit 2015
Schwarzwild

  • Zulässige Zahl der Kirrungen: pro 50 Waldfläche eine Kirrung im Jagdbezirk, mindestens jedoch 2 (wie bisher!)
  • Futtermittel müssen so ausgebracht werden, dass die Futtermittel von anderen Wildtierarten nicht oder nur in unschädlichem Umfang aufgenommen werden. D.h. für die Praxis, dass die Kirrmenge von 1 Liter auch breitwürfig ausgestreut werden kann.
  • Keine Kirrung während der Jagdruhezeit im März und April bei Bejagung von Schwarzwild innerhalb 200 m Korridor im Wald).

 Wenn eine Rotte aber in einem Maisfeld „wohnt“, fressen die Sauen täglich bis zur Sättigung Mais! Bei solchen idealen Bedingungen bekommen die Bachen natürlich auch maximale Wurfgrößen. Die Natur weiß, dass alle Frischlinge satt werden. Milde Winter mit niedrigen Mortalitätsraten tun ihr Übriges dazu.
Jagddruck hat da also, wenn überhaupt, nur rudimentären Einfluss! Unbegrenzt Frischlinge geht von Natur aus nicht, denn die Anzahl Zitzen bei der Bache begrenzt ganz natürlich die Anzahl Frischlinge.
Bei allen anderen Arten übrigens auch. Deshalb wird ein Fuchs nie, wie mal behauptet wurde, 18 – 20 Welpen bekommen, wenn der Jagddruck hoch ist. Die Trag- und die Säugezeit begrenzen außerdem noch die Anzahl der Würfe.

Weder Reh, noch Rotwild oder Fuchs, Marder, Wildkatze oder Wolf können zwei Würfe im Jahr bekommen. Das ist nur bei Hunden und Hauskatzen möglich. Wildtiere werden in der Regel nur einmal im Jahr paarungsbereit. Ausnahmen sind Vögel. Wenn dort die Eier des ersten Geleges zerstört oder gefressen werden, bekommen die Vögel direkt danach ein zweites Gelege, was aber grundsätzlich weniger umfangreich ist wie das erste. Rotwild hat mit 240 Tagen Tragzeit die zweitlängste Trächtigkeit von Wild in Deutschland, beim Rehwild ist die Gesamttragzeit, bedingt durch die knapp 5monatige Keimruhe, mit 290 Tagen noch länger als beim durchtragenden Rotwild und Wisent mit 266 Tagen. Auch andere Wildtiere haben eine tragzeitverlängernde Keimruhe, Dachs z.B. oder Hermelin, Fischotter oder Braunbär.

Bei Waschbären und Füchsen wird die Wurfgröße u.a. durch die Reviergrößen der Tiere und auch über das Nahrungsangebot gesteuert. Jagd hat kaum Einfluss. Denn auch ohne Jagd fallen z. B. ca. 50-70% jedes Jungfuchsjahrgangs irgendwelchen Unfällen zum Opfer. Ob der Jungfuchs erlegt wurde oder überfahren, in Löcher, Kanalschächte oder in Wasser fällt, vom Uhu geschlagen oder vom Wolf gefressen wurde, das registriert die Fähe nicht. Sie schleppt immer gleich viel Futter zum Bau, egal wie viele Jungen drin sind. Auch wenn vier von sechs nicht mehr da sind, holt sie weiterhin für sechs Futter. Füchse können nicht zählen. Dieses Phänomen kennt man auch bei Hunden.

Und diese Wildunfälle, die angeblich in Gebieten mit hohem Jagddruck besonders häufig anfallen, sind schlicht Einbildung. Viel Wild = viele Unfälle, wenig Wild = wenig Unfälle. Wie erklärt es sich sonst, dass sämtliche Wildunfälle, die in einem bestimmten Revier ab dem 1.1.2016 passiert sind, außerhalb der Jagdzeit anfielen? Drei hochtragende Ricken verunfallt im März und April. Im Juni wurden noch zwei Dachse überfahren, auch außerhalb der Jagdzeit.

Unfälle passieren auch gern zur Erntezeit (fällt in die Jagdzeit, daher vielleicht aus Unwissenheit die falsche Verknüpfung?) Wild hat sich an bestimmte Feldschläge gewöhnt, frisst dort, „wohnt“ auch dort in der Nähe. Dann wird geerntet, innerhalb eines Tages verändert sich die ganze Umgebung, Futter muss woanders gesucht werden. Leider oft auf der anderen Straßenseite und schon passieren wieder Wildunfälle, wenn die Tiere zwischen Äsungsfläche und Ruhe-/Einstandsgebieten hin- und herziehen. Das hat mit Jagd nun wirklich nichts tun. Oft werden Rehe durch freilaufende Hunde in den Verkehr getrieben. Auch da kann die Jagd nicht als Ursache genannt werden. Und zur Brunft wird grade das Rehwild vor Liebe sprichwörtlich blind und rennt bei Paarungsvorspielen auch über Tag oft über Straßen, völlig blind für den Verkehr und Passanten – auch ohne Zutun der Jäger.
Nachfolgend noch ein paar relevante Links zum Vermehrungsverhalten von Wildschweinen

http://www.tiho-hannover.de/uploads/media/diss_gethoeffer.pdf

http://www.tiho-hannover.de/uploads/media/sodeikat_ndj_17-08.pdf

www.tiho-hannover.de

tiho-hannover.de

http://www.jagd-bayern.de/fileadmin/_BJV/Akademie/Schwarzwild/BJV-SW-01_Pohlmeier-ber-2_viv.pdf

https://www.vetmeduni.ac.at/fileadmin/v/fiwi/Publikationen/Populaerwissenschaftliche/Arnold_Sauen_ohne_Ende_ww1212.pdf

http://www.tiho-hannover.de/nc/pdfversion/test-schulung/itaw/terrestrische-wildtierforschung/forschung/abgeschlossene-projekte/populationsdynamik-und-modelling-beim-schwarzwild/

 

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