Wenn die Stille zu uns spricht.
Lange war es nicht mehr so kalt wie in diesem Januar 2017. Vor allem nicht über einen so langen Zeitraum. Wochenlang Dauerfrost und nächtliche Temperaturen von teil unter – 20°C machen dem Wild in unseren Wäldern zu schaffen. Und auch wir Jäger haben dann zu tun. Einmal wöchentlich fahren wir hinaus ins Revier, um „unser“ Wild mit einer ausgewogenen Winterfütterung in der kalten Zeit beizustehen.
Das ist echte Arbeit, die einen auch bei kalten Temperaturen ins Schwitzen bringt. Denn Silage und Apfeltrester tragen sich nicht von alleine zu den Futterplätzen – und manch einer würde wohl laut fluchen, wenn er vier bis sechs Stunden im kalten Winterwald werkelt.
Mich hingegen fasziniert diese Arbeit (zugegeben, wenn das Silofutter so gefroren ist, dass man es erst mit der Brechstange zerkleinern muss, kommt einem schon mal ein Murren aus) – vor allem aufgrund der kleinen Geschichten, die uns der ruhige Winterwald erzählt.
Zu keiner Zeit im Jahr lassen sich mehr Fährten lesen, die Aufschluss darüber geben, welche Tiere sich im Revier tummeln. Natürlich zieht es sie gerade jetzt zu den Fütterungen – und natürlich sind die Wechsel (also die „Wege“ der Tiere) deutlich ausgetreten.
Da startet das Kopfkino und man sieht vor dem geistigen Auge, die erfahrene Geiß, die ihre Kitze zur Futterkrippe führt. Nicht weit davon, kaum 20 Meter entfernt, sind deutlich die Schlafplätze zu erkennen. Freigescharrt mit den Hufen, um wenigstens auf dem weicheren Moos, als auf dem harschigen Schnee liegen zu können. Und so nah an der Futterquelle, dass man zum „Frühstücken“ keine unnötige Energie vergeuden braucht, sondern direkt dran ist.
An anderer Stelle dann ein Bild, das von weit weniger nächtlicher Stille zeugt. Eher von einem Gelage, einem Fest(fr)essen, ja, dem Anschein nach einer Party Halbwüchsiger. Schwarzwild. Selbst der gefrorene Boden ist aufgebrochen von den massigen Hauern dieser echten „Urviecher“. Den Fährten nach eine schwere Bache mit einem ganzen Wuzel angehender Überläufer. Da kommt ein Lächeln auf, wenn man an deren „Party“ denkt – und gleichzeitig wird man nachdenklich, ob die bei uns wohl bald zum Standwild werden … Doch davon ein andermal.
Bei der nächsten Krippe packt einen schon aus der Ferne der Zweifel: „Wir haben da doch letzte Woche erst komplett mit Heu aufgefüllt? Das kann doch nicht alles weg sein …“ Nein, nicht alles, aber doch einiges. Bei näherer Betrachtung weiß man gleich, wo es hingekommen. Ein untrügerische Spur mit „fünf Nägeln“ zeigt, dass der Dachs zu besuch war. Klar: Die Kinderstube gehört eingerichtet, und geh man den Heuresten hinterher, findet sich auch gleich der Eingang zu seiner Burg. Scheint gutes Heu zu sein, das wir da haben.
Dass dieses Heu mehr als nur Futter ist, zeigt sich auch an anderer Stelle. Dort hat wohl ein Marder die Krippe zum Schlafplatz erklärt. Jedenfalls wurde die Größe des „Bettchens“ obenauf darauf hindeuten. Wahrscheinlich hat er es dann gleich noch als Hochsitz genutzt. Denn wo Körner sind, da sind auch Mäuse. Folglich hat der Marder hier gute Aussichten, auch einen kleinen Happen zu erwischen. Auch er kämpft schließlich mit der harten und seit Wochen geschlossenen Schneedecke, die es ihm schwer macht sein Hauptnahrungsmittel zu finden.
So geht es jetzt quasi allen Tieren, die nicht im Haus oder im Stall leben und versorgt werden. Nicht zuletzt den Vögeln. Es ist immer wieder schön zu sehen, wenn sich an den Fütterungen nicht nur Rehe und Hasen zeigen, sondern zum Beispiel auch Eichelhäher und Amseln, die sich ein paar Körner rauspicken. Doch auch hier müssen sie aufpassen. Denn der Sperber ist häufig nicht weit. So zeugen denn Rupfungen in Fütterungsnähe immer wieder davon, dass die Natur ihren Weg des Fressens und Gefressen-Werdens immer wieder weiter geht.
Ein Weg, den wir dank der weißen Schneedecke mit ihren zahlreichen Spuren ein wenig deutlicher sehen als in den Sommermonaten. Eben Geschichten, die uns der stille Winterwald ganz deutlich vor Augen führt.